Samstag, 11. Juni 2022

Glyphosat gefährdet Bruterfolg von Hummeln

Dass Glyphosat Honigbienen stark zusetzen kann, belegen Studien. Während bei Apis mellifera die kognitiven Fähigkeiten oder das Immunsystem dadurch geschädigt werden, haben Biologinnen den Effekt des Herbizids auf Erdhummeln geprüft - und dabei festgestellt, dass das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel den Bruterfolg von Hummeln gefährdet. Sie halten es für sehr wahrscheinlich, dass alle 20.000 Wildbienenarten von Glyphosat beeinträchtigt sind.

Foto: Ivar Leidus

Wie das Fachmagazin "Science" meldete, belegt eine Studie der Universität Konstanz, dass das Herbizid dazu führen kann, dass Erdhummeln die Temperatur im Nest schlechter aufrechterhalten, wenn das Nahrungsangebot knapp ist. Ohne ausreichende Wärme sei die Brut in Gefahr und damit das Überleben des gesamten Wildbienenvolks. 

Die Biologen um Anja Weidenmüller richteten im Labor 15 Kolonien von Dunklen Erdhummeln (Bombus terrestris) ein, eine der größten und häufigsten Hummelarten in Deutschland. Die Völker wurden jeweils durch ein Netz in zwei Hälften geteilt: Die Futterbox der einen Hälfte enthielt reines Zuckerwasser, während das Zuckerwasser der anderen Hälfte mit Glyphosat versetzt war. Die Forscher fanden zunächst heraus, dass die Aufnahme von Glyphosat nicht direkt tödlich auf die Insekten wirkte. 

Auf den zweiten Blick zeigte sich aber, dass diese Kolonien schlechter darin waren, die Wärmeregulierung im Nest aufrechtzuerhalten, wenn das Nahrungsangebot eingeschränkt war. Für eine optimale Entwicklung der Brut müssen die Temperaturen im Nest zwischen 28 und 35 Grad Celsius liegen.

"Hummelkolonien stehen unter einem sehr hohen Druck, in kurzer Zeit möglichst schnell zu wachsen", erklärte Weidenmüller. Könnten sie die notwendige Bruttemperatur nicht halten, entwickle sich die Brut langsamer oder gar nicht. Das schränke das Wachstum des Volks ein: "Erst wenn sie in der relativ kurzen Wachstumsphase eine bestimmte Koloniegröße erreichen, sind sie in der Lage, die geschlechtsreifen Individuen einer Kolonie, also Königinnen und Drohnen, hervorzubringen."


Die Insekten erzeugen die Wärme wie Honigbienen, indem sie ihre Flugmuskeln kontrahieren. Das kostet viel Energie, weshalb vor allem diese Zeit eng mit dem Nahrungsangebot verknüpft ist. Wurde dieses im Experiment eingeschränkt, sank die Fähigkeit der Hummeln zur Thermoregulation um 25 Prozent. "Sie können ihre Brut nicht mehr so lange warmhalten", fasste Weidenmüller zusammen. Für den Biologen Vincent Doublet von der Universität Ulm ist das ein bedeutsames Ergebnis, denn die Wärmeregulierung sei bislang von der Forschung vernachlässigt worden. "Die Studie zeigt, dass kleine Effekte auf individueller Ebene große Folgen für die gesamte Kolonie haben können", sagte Doublet, der nicht an der Arbeit beteiligt war.

Wie Glyphosat diesen Effekt erziele, sei noch unklar. Eine Studie mit Honigbienen habe gezeigt, dass das Herbizid deren Darmflora verändere und sie anfälliger für bestimmte Krankheitserreger mache. "Es liegt nahe, dass sich Glyphosat auch auf das Mikrobiom von Hummeln auswirkt und zum Beispiel dafür sorgt, dass sie Nährstoffe schlechter verwerten können und somit schwächer werden", spekulierte der Biologe Doublet. Da der Unkrautvernichter bei Honigbienen kognitive Fähigkeiten beeinträchtige, seien ähnliche Effekte auch bei Hummeln denkbar: "Sie könnten schlicht nicht merken, dass die Temperatur im Nest fällt." Letztlich könnten verschiedene Mechanismen auch zusammenspielen.

Die Studie zeigt für Doublet, dass Unkrautvernichtungsmittel nicht unbedingt direkt tödlich für Insekten sein müssten, um dramatische Konsequenzen zu entfalten. Bisher stütze sich die Zulassung solcher Mittel oft auf Versuche mit gut gefütterten Honigbienen, die unter besten Bedingungen lebten. Komplexe Wechselwirkungen unterschiedlicher Stressfaktoren wie Nahrungsangebot, Wetter und Krankheitserreger würden so nicht erfasst.


Hauptautorin Weidenmüller betonte: "Die Kombination aus Ressourcenknappheit in gerodeten Agrarlandschaften und Pestiziden kann ein massives Problem für die Fortpflanzung der Bienenvölker darstellen." Neue Pestizide müssten vor einer Zulassung genauer untersucht werden. Bislang werde nur geprüft, wie viele Tiere binnen 24 oder 48 Stunden nach der Fütterung oder dem Kontakt mit einer Substanz gestorben sind: "Subletale Effekte, also Wirkungen auf Organismen, die nicht tödlich sind, sich aber zum Beispiel in der Physiologie oder im Verhalten der Tiere bemerkbar machen, können erhebliche negative Auswirkungen haben und sollten bei der künftigen Zulassung von Pflanzenschutzmitteln berücksichtigt werden."

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