Samstag, 30. Juli 2022

US-Regierung lässt Bienengenome erfassen

Die US-Regierung hat dem Forschungszweig innerhalb des Landwirtschaftsministeriums den Auftrag erteilt, unter dem Titel "Beenome 100" eine Art Bibliothek der Bienengenome zu erstellen. Sie soll hochwertige Genomkarten von mindestens 100 Bienenarten enthalten, um die Vielfalt der in den USA vorkommenden Bienenarten zu dokumentieren und jede der wichtigsten taxonomischen Bienengruppen darzustellen.


Es gibt etwa 4.000 einheimische Bienenarten in den USA, von der riesigen, farbenfrohen Sonora-Hummel bis zur 0,08-Zoll-Einzelbiene Perdita minima. Zudem sind auch über 55 nicht heimische Bienenarten bekannt, von denen einige für die Landwirtschaft unverzichtbar sind wie die Europäische Honigbiene und die Luzerne-Blattschneiderbiene.

"Ein Ziel von Beenome100 ist es, eine einzigartige Bibliothek hochwertiger, hochdetaillierter Genomkarten zu erstellen, die Forschern helfen wird, die großen Fragen zu beantworten, wie zum Beispiel welche genetischen Unterschiede einige Bienenarten anfälliger für den Klimawandel machen oder ob eine Art anfälliger für ein Pestizid ist als eine andere", erklärte der Entomologe Jay Evans vom ARS-Labor in Beltsville, Maryland, und Co-Leiter des Projekts.

Sobald ein Genom kartiert ist, werden die Daten öffentlich zugänglich, damit Wissenschaftler am nächsten Schritt arbeiten können: der Verknüpfung von Funktionen mit bestimmten Genen. Die Daten sind im "i5k Workspace@NAL" untergebracht, einem Online-"Werkzeugschuppen" der National Agricultural Library von ARS, der es Wissenschaftlern vieler Organisationen ermöglicht, gemeinsam an der Bioinformatik zu arbeiten.


Es gebe viele Gründe, warum diese Genomkarten nützliche Werkzeuge seien, ergänzte der Entomologe Michael Branstetter von der ARS-Zweigstelle in Logan (US-Bundesstaat Utah), die sich vor allem mit der Bestäubung durch Bienen befasst. Er war erst kürzlich von einer Reise zum Sammeln von Bienen im südlichen Arizona zurückgekehrt und hatte 80 Arten zurückgebracht. Die Tiere wurden eingefroren, um dann ihr Genom zu sequenzieren. Einige von ihnen sollen Teil der Beenome100-Bibliothek werden.

"Es kann schwierig sein, Bienen auf dem Feld zu identifizieren, insbesondere die winzigen Arten. Wenn Bienenarten gefährdet sind, dürfen wir nicht zu viele Individuen von ihnen sammeln, um den Bestand nicht noch weiter zu gefährden. Angesichts des Artensterbens werden wir in Zukunft aber immer öfter vor diesem Problem stehen", bedauerte Branstetter. "Wenn aber das Genom dokumentiert ist, können Blumen möglicherweise auf die DNA von Bienen, die sie besucht haben, abgetupft werden. Schon diese Informationen könnten ausreichen, um Arten zerstörungsfrei zu überwachen."


Eine Art, an der dies ausprobiert wird, ist die Franklin-Hummel, die in ihrem winzigen Verbreitungsgebiet in Süd-Oregon und Nord-Kalifornien seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen wurde. Ihr Genom wurde anhand von Museumsexemplaren kartiert. Wenn das System funktioniert und passende Bienen-DNA in einem Blütentupfer gefunden wird, wäre das ein dokumentierter Beweis dafür, eine bestimmte Art zu finden, ohne ein Exemplar aus der Wildnis zu entnehmen.

Dann könne das Beenome100-Projekt "uns mehr darüber beibringen, welche Bienen wir wirklich in unserer Umwelt haben und wie wir die Bienen, die wir haben, besser erhalten können."

Samstag, 23. Juli 2022

Kurz vor zwölf: Menschengemachtes Massenaussterben

Wissenschaftler sehen die Erde derzeit am Beginn des ersten massenhaften Artensterbens seit 65 Millionen Jahren. Sie fragen sich deshalb, was der Verlust der biologischen Vielfalt für die Menschheit und die Umwelt bedeutet. Grundsätzlich befinde sich die Welt in derselben Lage wie zu Beginn des letzten großen Artensterbens: vor etwa 65 Millionen Jahren, als die Dinosaurier ausstarben. Im Gegensatz zu allen anderen frühen Katastrophen ist dieses drohende, sechste Massensterben jedoch vom Menschen verursacht - durch Klimawandel, Zerstörung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung und industrielle Landwirtschaft.


Per Definition verschwinden im Rahmen von Massenaussterben mindestens drei Viertel aller Arten innerhalb von rund drei Millionen Jahren. Aktuell legt die Erde ein rasantes Tempo an den Tag, so dass dieser Artenverlust wohl binnen weniger Jahrhunderte erreicht wird. Allein in den nächsten Jahrzehnten sind mindestens eine Million Arten vom Aussterben bedroht, wie ein UN-Bericht von 2019 prognostiziert. Der Versuch, die Auswirkungen eines vollständigen Zusammenbruchs der Biodiversität vorherzusagen, ist sehr komplex. Wissenschaftler sind sich jedoch darin einig, welche Folgen es haben wird, wenn das Aussterben in der derzeitigen Geschwindigkeit weitergeht. Und alle Effekte sind untrennbar miteinander verbunden:

Verlust der Ernährungssicherheit
Als erstes werde die Menschheit erleben, dass sich das Nahrungsangebot deutlich verringert, sagte Corey Bradshaw, Professor für Globale Ökologie an der Flinders University in Südaustralien. Die Ursache sei die fehlende Bestäubung der Pflanzen.

Bradshaws mathematische Modelle zeigen die Wechselwirkungen: So hänge etwa ein Drittel der weltweiten Nahrungsversorgung von Bestäubern wie Bienen ab, und wenn diese aussterben, könnten die landwirtschaftlichen Erträge entsprechend sinken, so Bradshaw. Zudem könnten sich einige Pflanzenschädlinge stark vermehren, wenn es keine natürlichen Fressfeinde wie andere Insekten mehr gebe.


Millionen Menschen sind zudem auf wildlebende Tiere für die Ernährung angewiesen, besonders an den Küsten durch den Fischfang. Doch der Fischbestand ist bedroht - und damit eine wichtige Ernährungsgrundlage. Dieser Mangel an Ernährungssicherheit, der auch mit zunehmenden Dürren und Überschwemmungen verbunden sein wird, wird laut Bradshaw ärmere Regionen am härtesten treffen, insbesondere Afrika südlich der Sahara und Teile Südostasiens.

Weniger fruchtbare Böden
Auch die Bodenqualität wird sich voraussichtlich verschlechtern, wenn bestimmte Mikroorganismen absterben. Obwohl deren Entwicklung nie ordentlich dokumentiert wurde und die Prognose nur auf fundierten Annahmen basiert, glauben einige Forscher, dass Mikroorganismen möglicherweise schneller verschwinden als andere Arten. Ihr Fehlen könnte zu einer Verschlimmerung der Bodenerosion führen. Das wiederum brächte mehr Überschwemmungen sowie eine geringere Bodenfruchtbarkeit mit sich - und das würde das Pflanzenwachstum beeinträchtigen.

Colman O'Criodain von der Naturschutzorganisation WWF hält das Absterben von Mikroorganismen für besonders gefährlich. "Die organische Substanz ist in gewisser Weise wie der Klebstoff, der alles zusammenhält. Man kann sich das wie bei einem Weihnachtspudding vorstellen. Der hat einige trockene Zutaten wie Semmelbrösel, Mehl und Trockenfrüchte. Aber Eier und Stärke halten ihn zusammen, machen den Pudding weich und matschig und geben ihm seine Form", erläuterte O'Criodain das Prinzip.

Hungersnöte durch Wasserknappheit
Ein Großteil des Süßwassers kommt aus Feuchtgebieten, dort wird das Wasser gereinigt und verteilt. Zum Beispiel Wasser aus dem Himalaja: Es wird von Feuchtgebieten gespeist und versorgt rund zwei Milliarden Menschen mit Wasser. Wenn diese Feuchtgebiete aufgrund von zurückgehender Vegetation oder etwa durch Algenblüte zusammenbrächen, könnte die Menschheit viel Wasser zum Trinken und zur landwirtschaftlichen Nutzung verlieren.

Auch durch Abholzungen verschieben sich wahrscheinlich die Niederschlagsmuster, da durch den Verlust von Bäumen weniger Feuchtigkeit verdunstet. Ganze Landschaften könnten so austrocknen - ein Prozess, der derzeit im Amazonas beobachtet wird.


Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen/FAO schätzt, dass seit 2015 jährlich etwa zehn Millionen Hektar Wald abgeholzt werden. Dies entspricht der Fläche von Frankreich und Spanien zusammen. Und mit dem Verlust von Bäumen und Vegetation wird erwartet, dass sich der Klimawandel verschlimmern und es mehr extreme Wetterereignisse geben wird. Trockenere Bedingungen und ungesunde Wälder erhöhen zudem das Risiko von Waldbränden.

Diese verschiedenen Entwicklungen führen zu Missernten, Hungersnöten und zu Konflikten um knapper werdende Ressourcen. Menschen werden versuchen, dem zu entkommen, was Massenmigration zur Folge hat.

Verlust von Widerstandsfähigkeit, mehr Pandemien
Nach Einschätzung des schwedischen Umweltwissenschaftlers Carl Folke vom Stockholm Resilience Center trägt Artenvielfalt dazu bei, den Ausfall einzelner Elemente des Ökosystems gut zu überstehen. Doch das sei durch den Einfluss des Menschen verwundbarer geworden. "Wenn Sie unter sehr stabilen Bedingungen leben und alles vorhersehbar ist, brauchen Sie diesen Puffer der Artenvielfalt nicht. Aber wenn Sie in turbulenteren Zeiten mit unvorhersehbareren Situationen leben, ist eine Vielfalt an Optionen extrem wichtig", sagte Folke.

Forscher warnen auch davor, dass der Verlust der biologischen Vielfalt zu einem erhöhten Risiko von Pandemien führen könnte, da Wildtiere und Menschen durch die Fragmentierung von Lebensräumen und die Störung natürlicher Systeme enger miteinander in Kontakt kommen.


Das oft zitierte Beispiel dafür ist der Ebola-Ausbruch 2014 in Westafrika. Dieser wurde vermutlich von Kindern verursacht, die in einem ausgehöhlten Baum voller Fledermäuse spielten. Obwohl der Ursprung von Corona noch unklar ist, bringen einige Studien diesen Erreger ebenfalls mit Fledermäusen in Verbindung.

Trotz dieser katastrophalen Vorhersagen will Thomas Brooks von der Weltnaturschutzunion/IUCN nicht schwarzmalen: "Es gibt viele Beispiele, bei denen es Menschen gelungen ist, das Blatt zu wenden." Die Wiederansiedlung von Bibern in Europa sei etwa so eine Erfolgsgeschichte. 

Die IUCN erstellt die Liste zum weltweiten Artenverlust, die sogenannte Rote Liste - und Untersuchungen zeigen, dass Naturschutzbemühungen funktionieren. Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass die Verluste seit 1993 ohne Naturschutzmaßnahmen drei- bis viermal so hoch gewesen wären.

Dienstag, 19. Juli 2022

Lust Garten


Bohnen gurken
Tomaten rüben
Trauben zwiebeln
Erbsen kichern -

es reift

die Bienen stacheln
zum Heuschrecken
und

Früchtchen gören
überall

                   Nikolaus Dominik

aus: Naturgedichte von Reclam

Samstag, 16. Juli 2022

Winterbienen weniger anfällig für Neonicotinoide?

Winterbienen sind laut einer neuen Studie des US-Landwirtschaftsministeriums besser als Sommerbienen darauf eingestellt, den schädlichen Auswirkungen eines weit verbreiteten Insektizids in der Schädlingsbekämpfung zu widerstehen. Die Forscher des Laborzweigs der US-Behörde/ARS fanden im Bienenforschungszentrum in Beltsville (US-Bundesstaat Maryland) heraus, dass der Verzehr eines fast tödlichen, mit Imidacloprid versetzten Sirups das Überleben der Winterbienen während der Studie nicht beeinträchtigte.


Imidacloprid zählt zu den Neonicotinoiden, die Nikotin imitieren und für Insekten giftig sind. Dieses starke Insektizid wird in der Landwirtschaft häufig zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Es ist wahrscheinlich, dass Honigbienen bei der Nahrungssuche auf dem Feld oder durch kontaminierte Bienenstockprodukte auf Imidacloprid stoßen.

"Obwohl Imker die Toxizität von Imidacloprid für Honigbienen als Problem betrachten, ist das Studienergebnis eine gute Nachricht für Imker", betonten Miguel Corona und Mohamed Alburaki, Forscher am ARS. "Unsere Arbeit zeigt, dass Winterhonigbienen unerkannte physiologische Mechanismen haben, um den Auswirkungen von Insektiziden entgegenzuwirken."

Die Studie bewertete Unterschiede im Ernährungsverhalten von Sommer- und Winterhonigbienen in einer kontrollierten Laborumgebung. Die Forscher verabreichten den Bienen nach Bedarf subletale Dosen des mit Imidacloprid versetzten Sirups. Winterbienen konsumierten bevorzugt mit Imidacloprid versetzten Sirup gegenüber unbehandeltem Zuckersirup, während Sommerhonigbienen die sichere Wahl trafen und es vermieden, jedes Mal den mit Sirup versetzten Sirup zu konsumieren.

Laut Corona ist es wichtig, die Unterschiede in der Ernährung von Sommer- und Winterhonigbienen zu untersuchen. Honigbienenvölker überlebten extreme saisonale Unterschiede in Temperatur und Futter, indem sie zwei saisonale Arbeiterphänotypen produzieren: Sommer- und Winterbienen. Diese saisonalen Phänotypen unterschieden sich erheblich in ihren psychologischen Eigenschaften sowie ihrer Krankheitsanfälligkeit und Fähigkeit, mit giftigen Substanzen umzugehen.

"Winterbienen und Sommerbienen unterliegen physiologischen Veränderungen, um mit drastischen saisonalen Temperaturschwankungen und der Verfügbarkeit von Nahrungsressourcen fertig zu werden", sagten Corona und Alburaki. "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass langlebige Winterbienen besonders gut angepasst sind, um ein höheres Maß an chemischen Stressoren zu tolerieren." So könnten Winterbienen eine viel stärkere Vergiftung durch Imidacloprid vertragen, während sie in normalen Feldstudien noch immer anfällig für höhere Konzentrationen desselben Insektizids seien.

Dienstag, 12. Juli 2022

Bamberg legt Insektenparadiese an


Die Stadt Bamberg hat als eine der ersten Kommunen in Deutschland die Untätigkeit zur obersten Grundregel des Artenschutzes erklärt. Was zunächst paradox klingt, hat dazu geführt, dass die Straßenränder der Stadt zu wahren Paradiesen für Insekten generierten. Weil in der Stadt die Straßenränder schon seit 20 Jahren seltener gemäht werden, lockt das zahlreiche Insekten und auch neue Arten an. Zugleich wachsen auch deutlich vielfältigere Pflanzen: 472 Pflanzenarten wurden 2021 gezählt, 1999 waren es noch 320, wie eine Sprecherin der Stadt mitteilte. Auch in anderen Kommunen gibt es inzwischen ähnliche Maßnahmen.

Seit 2019 ist auch die Regierung von Oberfranken mit im Boot. Die Pflege der Straßenränder sollte auch hinsichtlich der Insekten optimiert werden. Die Stadt Bamberg habe das Thema ökologische Straßenrandpflege schon seit über 20 Jahren in den Blickpunkt gerückt und "war hier wirklich führend", lobt Gerhard Bergner von der Höheren Naturschutzbehörde der Regierung von Oberfranken. Inzwischen hat die Regierung auch einen Leitfaden zur ökologischen Straßenrandpflege veröffentlicht.


"Je häufiger gemäht wird, desto schlechter ist es für die Insekten", erklärt Bergner. Für die Artenvielfalt sei es viel besser, nur einmal, maximal zwei Mal im Jahr zu mähen statt vier bis fünf Mal. Allerdings bedeute das nicht auch gleichzeitig weniger Aufwand für die Kommunen. Es sollte nämlich nicht gemulcht werden, weil beim Mulchen Pflanzenreste liegen blieben. Und wenn die Verkehrssicherheit es zulasse, könnten Straßenränder auch einmal gar nicht oder stufenweise gemäht werden. Die Verkehrssicherheit gehe aber in jedem Fall vor. Besondere Pflanzungen am Straßenrand seien nicht nötig, sagte Bergner weiter. Er rate oft: "Einfach mal wachsen lassen", anstatt Saatmischungen zu kaufen und auszusäen.

Blühende Straßenränder funktionierten für Insekten wie Wanderwege, an denen sie entlanglaufen oder entlangfliegen, heißt es bei der Regierung von Oberfranken. So seien die Biotope untereinander vernetzbar. Zudem könnten Insekten die Pollen und den Nektar der dort wachsenden Pflanzen nutzen.


Die Stadt Hof hatte im Herbst angekündigt, die Pflege ihrer Grünflächen umzustellen: Es werde seltener gemäht, damit Pflanzen dort blühen könnten. Zudem lasse man bewusst Brachstreifen als Nahrungsquelle und Rückzugsort für Insekten und Kleintiere. Speziell im Bürgerpark Theresienstein bleiben den Angaben nach auch Bereiche mit Brennnesseln stehen, die wichtige Futterpflanzen etwa für Vögel sind.

In Würzburg sucht die Stadt derzeit Patinnen und Paten für die Baumscheiben, das ist der offene Bodenbereich rund um den Baumstamm. Um die Gesundheit der Bäume zu verbessern und für mehr Pflanzenvielfalt zu sorgen, sollen sich Menschen um diesen Bereich besonders kümmern: Die Aufgaben der Patinnen und Paten umfasse die Bepflanzung und regelmäßige Pflege der Baumscheibe, teilte die Stadt mit. Besonders in Hitzephasen sei auch das Gießen der Bäume wichtig. So würden die Bürgerinnen und Bürger nicht nur einen Beitrag zum Schutz des Baumbestandes leisten, sondern auch für die Artenvielfalt.


Samstag, 9. Juli 2022

Schmetterlingssterben - ein vernachlässigtes Problem

Schmetterlinge - so leise, wie sie durch die Luft tanzen, so leise entschwinden sie auch aus der Welt. Erst kürzlich wurde das Aussterben der Schmetterlinge in die Top Ten der vernachlässigten Nachrichten gewählt. Laut Studien sind bereits ein Drittel aller bisher bekannten Schmetterlingsarten von der Erde verschwunden. Weitere 20 bis 30 Prozent sind laut dem Agrarbiologen Josef Settele, einem der acht Umweltweisen der Bundesregierung und Mitautor des Weltberichts zum ökologischen Zustand der Erde, vom Aussterben bedroht.

Der Professor am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle koordiniert seit 2005 das Tagfalter-Monitoring und analysiert die Entwicklung von etwa 80 häufigen Arten. Binnen zehn Jahren sei ein Rückgang von zehn Prozent beobachtet worden, sagte Settele: "Das ist schon sehr viel". Schließlich habe es bereits vorher große Verluste an Insektenvielfalt gegeben. Schmetterlinge litten aber besonders unter dem menschengemachten Verlust ihres Lebensraums sowie dem zunehmenden Klimawandel.


Dabei sind Schmetterlinge - vor allem Nachtfalter - ökologisch sehr wichtig, schließlich kann manche Pflanze nur von ihnen bestäubt werden. Sie verfügten - anders als die Honigbiene - über lange Rüssel, mit denen sie langstielige Blüten etwa von Nachtkerzen und Petunien bestäuben können, erläuterte Settele. Auch das tagsüber fliegende Taubenschwänzchen, das kolibrigleich in der Luft steht, hat solch einen besonderen Rüssel, um an Natternkopf, Storchschnabel und Phlox zu saugen. Aber noch eine weitere wertvolle Fähigkeit haben Falter, sagte der Schmetterlingskundler. Sie sind "ein guter Indikator für den Schwund anderer Insekten wie Hummeln und Bienen".

Manchmal trügt auch der schöne Schein: Schmetterlingsflieder im heimischen Garten, die von Tagfaltern wie dem Kleinen Fuchs, Admiral und Tagpfauenauge umschwärmt werden, erfreuen viele Naturfreunde. Für Insektenkundler sind sie dagegen ein Gradmesser für die dramatische Verschlechterung der Umwelt. Denn die schönen Falter sind vermehrt dort vorzufinden, wo andere Schmetterlinge keine Lebensgrundlagen mehr finden. Um möglichst unterschiedliche Schmetterlinge anzulocken, raten Experten des Naturschutzbunds/NABU statt zu asiatischem Sommerflieder zu heimischen Pflanzen wie Margerite, Hornklee, Wicken oder Wiesenflockenblume.

Lepidopterologe Settele plädierte zudem "für etwas Chaos im Garten - mein Garten ist ein Musterbeispiel dafür". Statt emsig Rasen zu mähen, genieße er den Garten von der Hängematte aus. Es sei sicherlich gewöhnungsbedürftig und erfordere ein Umdenken, "den Rasen durch irgendetwas Buntes, Chaotisches zu ersetzen" und einen Teil des Gartens sich selbst zu überlassen: "Aber die Natur gewinnt dadurch sehr viel."


Selbst im Wald sind hierzulande vielerorts inzwischen Schmetterlinge selten oder ganz verschwunden, beobachtete auch NABU-Experte Karl-Heinz Jelinek. Auffallend sei die Blütenarmut in Wäldern. Es gebe kaum noch besonnte Stellen, an denen Blumen blühen. Zudem würden Wegränder "seit mehreren Jahren zur Hauptblütezeit innerhalb kurzer Zeit großräumig gemäht". Fehlen Schmetterlinge, gerät das ökologische Gleichgewicht leicht aus den Fugen. Schließlich dienen die Raupen der Schmetterlinge auch anderen Tiere als Nahrungsquelle. Die Anwesenheit von Faltern ist somit auch ein sichtbarer Bioindikator für den Zustand von Naturräumen und bildet damit ein wichtiges Frühwarnsystem für deren Gefährdung.

Alles ist mit allem verbunden - ein Satz, der häufig auch beim Thema Ökologie fällt. Wie fragil das von der Natur fein abgestimmte und eng verwobene Miteinander von Tieren und Pflanzen ist, kann man nur erahnen. Ob der berühmte Schmetterlingseffekt - in den 70er-Jahren zur Veranschaulichung der Chaostheorie entwickelt - auch beim Schmetterling selbst greift? Er soll verdeutlichen, dass Kleinigkeiten wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ausreichen, um komplexe Systeme aus dem Tritt zu bringen. Unbestritten ist, dass viele Menschen mit dem Sterben der Schmetterlinge einen Verlust an Schönheit in der Welt erleben dürften. Nicht ohne Grund nennen einige Naturvölker die oft in den schillerndsten Farben schimmernden Falter "fliegende Blumen". In den tropischen Gefilden Südamerikas und Australiens gibt es die farbenprächtigsten Exemplare. Bei einigen Arten ähnelt die Flügel-Musterung sogar den Augen von Katzen oder Eulen, die sie vor Feinden schützt - so auch beim hierzulande heimischen Tagpfauenauge. Auch für Schmetterlingsliebhaber Settele haben Falter "eine einzigartige Ästhetik".


Hier noch Auszüge aus einem Interview mit dem Experten:
Wie dramatisch ist die Lage mit Blick auf die Schmetterlinge?
Settele: Weltweit stehen viele Schmetterlinge auf der Roten Liste. Zugleich gibt es beispielsweise in den Tropen viel mehr Schmetterlingsarten als Experten, die ihren Bestand einschätzen können. Ich schätze, dass insgesamt weltweit sicher 20 bis 30 Prozent aller Schmetterlingsarten schon vom Aussterben bedroht sind.

Was macht den Schmetterlingen besonders zu schaffen?
Settele: Das größte Problem ist - wie für viele andere Arten - der Lebensraumverlust. Meistens verlieren wir Kulturlandschaften, die früher extensiv genutzt und beweidet waren. Bei Gebieten wie Wacholderheiden oder etwa der Lüneburger Heide macht die Nutzungsänderung in Richtung Intensivierung viel aus. Auf anderen Heideflächen wird die Nutzung aufgegeben und sie bewalden sich, auch das schmälert den Lebensraum für seltene Insekten. Schmetterlinge sind eben typische Vertreter der sogenannten Offenlandschaft, für die ist das sehr ungünstig. Wir brauchen eigentlich eine mittlere Nutzungsintensität, um die Diversität zu halten.
Ein weiterer Grund ist der zunehmende Klimawandel. Schon vor 50 Jahren gab es erste Beobachtungen, dass manche Arten in höher gelegene oder nördlichere, kühlere Gefilde abwandern. Aber irgendwann ist Schluss, etwa wenn der Berggipfel erreicht ist. Im Mittelmeerraum haben wir große, klimabedingte Verluste. Auch hierzulande werden wir einige Arten verlieren, andere werden aber aus Südeuropa nachrücken.


Warum sind Schmetterlinge weltweit überhaupt so wichtig für die Ökosysteme?
Settele: Zum einen haben sie eine einzigartige Ästhetik. Schmetterlinge werden allgemein als schön empfunden - auch Nachtfalter, so lange man sie nicht abfällig Motten nennt. Viele Nachtfalter haben eine wichtige Bestäubungsfunktion. Nur sie haben lange Rüssel, mit denen sie beispielsweise langstielige Blüten von Nachtkerzen, Natternköpfen und Petunien bestäuben können. Auch das tagsüber fliegende Taubenschwänzchen, das wie ein Kolibri vor den Blüten schwebt, hat so einen besonderen Rüssel.
Falter sind zudem ein guter Indikator für den Schwund anderer Insekten wie Hummeln und Bienen. Bei uns gibt es neben der Honigbiene noch 580 weitere Bienenarten. Ihr Vorkommen dezimiert sich parallel mit den Faltern.

Sie beraten als Sachverständiger für Umweltfragen die Bundesregierung. Ist das Thema ausreichend auf dem Schirm?
Settele: Das Thema Insekten ist spätestens seit der Krefelder Studie 2017 im Blick. Damals gab es erstmals eine eineinhalbstündige Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags. Schon vor ihrem Amt als Bundesumweltministerin hat sich beispielsweise Steffi Lemke/Grüne, die Agrarwissenschaftlerin ist, sehr für das Thema interessiert, ebenso ihre Amtsvorgängerin Svenja Schulze/SPD. Aber Maßnahmen können oft nur mit Kompromissen durchgesetzt werden. Viele Maßnahmen kommen natürlich zu langsam, aber immerhin sind inzwischen einige Politiker offener für das Thema.

Das ökologische Bewusstsein und das Wissen um die Notwendigkeit, effektiv und zeitnah gegenzusteuern, scheint dennoch ein zartes Pflänzchen...
Settele: Leider ja, diese Thematik rückt schnell wieder in den Hintergrund, wie man gerade an dem Krieg in der Ukraine sieht. Gerade erst war das Bewusstsein für mehr Brachflächen als wichtige Komponente im Sinne von funktionierenden Agrarökosystemen zur Artenrettung bei den Landwirten angekommen. Damit wollten wir bestimmte Insektenarten und damit die Systeme stabilisieren und entsprechend nachhaltig gestalten. Bei Kriegsausbruch fand binnen weniger Tage ein Cut statt, weil durch die Ernteausfälle in der Ukraine hierzulande mehr produziert werden soll, um eine Welthungerkrise abzufedern. Diese Kehrtwende finde ich sehr ernüchternd, da sie extrem kurzsichtig ist bezüglich der Entwicklung einer nachhaltigeren Landnutzung.


Hierzulande greifen Hobbygärtner gerne zu Gift, um den gefräßigen Raupen des Buchsbaumzünslers den Garaus zu machen. Brechen Sie gerne zum Abschluss noch eine Lanze für diesen Kleinschmetterling?
Settele: Er sieht mit seinem braunen Rand neben dem sonstigen Weiß eigentlich sehr hübsch aus. Seine Raupen möchte man natürlich nicht am heimischen Busch haben. Wir haben auch nur noch einen halbwegs intakten Buchsbaumbusch im Garten - und pflücken die Raupen runter. Inzwischen gibt es auch ein paar Vögel, die unsere Raupen fressen. Die potenzielle Futterquelle Buchsbaumzünsler muss von den heimischen Vögeln erst entdeckt werden. Irgendwann kommt ein Vogel und probiert die erste Raupe. Wenn man also Geduld hat, sieht man, dass die Natur sich im Lauf der Zeit anpasst.

Montag, 4. Juli 2022

Themenabend Pestizide bei arte


Der deutsch-französische Kultursender arte strahlt morgen Abend, 5. Juli, ab 20.15 Uhr einen Dokumentarfilm-Themenabend zu Pestiziden und ihren Folgen aus. Er ist Teil des besonderen Jubiläumsprogramms zum 30-jährigen Bestehen des bilateralen Senders.

Der Auftaktfilm, "Insektenkiller - Wie Chemieriesen unser Ökosystem zerstören", von den Regisseuren Sylvain Lepetit, Miyuki Droz Aramaki und Sébastien Séga stellt die Welt der Insekten zunächst sehr heil dar. Doch ebenso schnell, wie Neonikotinoide die Sechsbeiner killen, widmet sich das Werk dem massiven Rückgang der Gesamtbiomasse - und der Systematik, wie Unternehmen mit gefälschten Studien alternative Fakten schaffen, um von ihrer Verantwortung abzulenken.

Eindeutig sehenswert, nehmt Euch für morgen Abend nichts vor - oder reserviert Euch ein paar Stunden für die arte-Mediathek, wo die Filme des Themenabends bis 3. August online verfügbar sind!!!