Samstag, 9. Juli 2022

Schmetterlingssterben - ein vernachlässigtes Problem

Schmetterlinge - so leise, wie sie durch die Luft tanzen, so leise entschwinden sie auch aus der Welt. Erst kürzlich wurde das Aussterben der Schmetterlinge in die Top Ten der vernachlässigten Nachrichten gewählt. Laut Studien sind bereits ein Drittel aller bisher bekannten Schmetterlingsarten von der Erde verschwunden. Weitere 20 bis 30 Prozent sind laut dem Agrarbiologen Josef Settele, einem der acht Umweltweisen der Bundesregierung und Mitautor des Weltberichts zum ökologischen Zustand der Erde, vom Aussterben bedroht.

Der Professor am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle koordiniert seit 2005 das Tagfalter-Monitoring und analysiert die Entwicklung von etwa 80 häufigen Arten. Binnen zehn Jahren sei ein Rückgang von zehn Prozent beobachtet worden, sagte Settele: "Das ist schon sehr viel". Schließlich habe es bereits vorher große Verluste an Insektenvielfalt gegeben. Schmetterlinge litten aber besonders unter dem menschengemachten Verlust ihres Lebensraums sowie dem zunehmenden Klimawandel.


Dabei sind Schmetterlinge - vor allem Nachtfalter - ökologisch sehr wichtig, schließlich kann manche Pflanze nur von ihnen bestäubt werden. Sie verfügten - anders als die Honigbiene - über lange Rüssel, mit denen sie langstielige Blüten etwa von Nachtkerzen und Petunien bestäuben können, erläuterte Settele. Auch das tagsüber fliegende Taubenschwänzchen, das kolibrigleich in der Luft steht, hat solch einen besonderen Rüssel, um an Natternkopf, Storchschnabel und Phlox zu saugen. Aber noch eine weitere wertvolle Fähigkeit haben Falter, sagte der Schmetterlingskundler. Sie sind "ein guter Indikator für den Schwund anderer Insekten wie Hummeln und Bienen".

Manchmal trügt auch der schöne Schein: Schmetterlingsflieder im heimischen Garten, die von Tagfaltern wie dem Kleinen Fuchs, Admiral und Tagpfauenauge umschwärmt werden, erfreuen viele Naturfreunde. Für Insektenkundler sind sie dagegen ein Gradmesser für die dramatische Verschlechterung der Umwelt. Denn die schönen Falter sind vermehrt dort vorzufinden, wo andere Schmetterlinge keine Lebensgrundlagen mehr finden. Um möglichst unterschiedliche Schmetterlinge anzulocken, raten Experten des Naturschutzbunds/NABU statt zu asiatischem Sommerflieder zu heimischen Pflanzen wie Margerite, Hornklee, Wicken oder Wiesenflockenblume.

Lepidopterologe Settele plädierte zudem "für etwas Chaos im Garten - mein Garten ist ein Musterbeispiel dafür". Statt emsig Rasen zu mähen, genieße er den Garten von der Hängematte aus. Es sei sicherlich gewöhnungsbedürftig und erfordere ein Umdenken, "den Rasen durch irgendetwas Buntes, Chaotisches zu ersetzen" und einen Teil des Gartens sich selbst zu überlassen: "Aber die Natur gewinnt dadurch sehr viel."


Selbst im Wald sind hierzulande vielerorts inzwischen Schmetterlinge selten oder ganz verschwunden, beobachtete auch NABU-Experte Karl-Heinz Jelinek. Auffallend sei die Blütenarmut in Wäldern. Es gebe kaum noch besonnte Stellen, an denen Blumen blühen. Zudem würden Wegränder "seit mehreren Jahren zur Hauptblütezeit innerhalb kurzer Zeit großräumig gemäht". Fehlen Schmetterlinge, gerät das ökologische Gleichgewicht leicht aus den Fugen. Schließlich dienen die Raupen der Schmetterlinge auch anderen Tiere als Nahrungsquelle. Die Anwesenheit von Faltern ist somit auch ein sichtbarer Bioindikator für den Zustand von Naturräumen und bildet damit ein wichtiges Frühwarnsystem für deren Gefährdung.

Alles ist mit allem verbunden - ein Satz, der häufig auch beim Thema Ökologie fällt. Wie fragil das von der Natur fein abgestimmte und eng verwobene Miteinander von Tieren und Pflanzen ist, kann man nur erahnen. Ob der berühmte Schmetterlingseffekt - in den 70er-Jahren zur Veranschaulichung der Chaostheorie entwickelt - auch beim Schmetterling selbst greift? Er soll verdeutlichen, dass Kleinigkeiten wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ausreichen, um komplexe Systeme aus dem Tritt zu bringen. Unbestritten ist, dass viele Menschen mit dem Sterben der Schmetterlinge einen Verlust an Schönheit in der Welt erleben dürften. Nicht ohne Grund nennen einige Naturvölker die oft in den schillerndsten Farben schimmernden Falter "fliegende Blumen". In den tropischen Gefilden Südamerikas und Australiens gibt es die farbenprächtigsten Exemplare. Bei einigen Arten ähnelt die Flügel-Musterung sogar den Augen von Katzen oder Eulen, die sie vor Feinden schützt - so auch beim hierzulande heimischen Tagpfauenauge. Auch für Schmetterlingsliebhaber Settele haben Falter "eine einzigartige Ästhetik".


Hier noch Auszüge aus einem Interview mit dem Experten:
Wie dramatisch ist die Lage mit Blick auf die Schmetterlinge?
Settele: Weltweit stehen viele Schmetterlinge auf der Roten Liste. Zugleich gibt es beispielsweise in den Tropen viel mehr Schmetterlingsarten als Experten, die ihren Bestand einschätzen können. Ich schätze, dass insgesamt weltweit sicher 20 bis 30 Prozent aller Schmetterlingsarten schon vom Aussterben bedroht sind.

Was macht den Schmetterlingen besonders zu schaffen?
Settele: Das größte Problem ist - wie für viele andere Arten - der Lebensraumverlust. Meistens verlieren wir Kulturlandschaften, die früher extensiv genutzt und beweidet waren. Bei Gebieten wie Wacholderheiden oder etwa der Lüneburger Heide macht die Nutzungsänderung in Richtung Intensivierung viel aus. Auf anderen Heideflächen wird die Nutzung aufgegeben und sie bewalden sich, auch das schmälert den Lebensraum für seltene Insekten. Schmetterlinge sind eben typische Vertreter der sogenannten Offenlandschaft, für die ist das sehr ungünstig. Wir brauchen eigentlich eine mittlere Nutzungsintensität, um die Diversität zu halten.
Ein weiterer Grund ist der zunehmende Klimawandel. Schon vor 50 Jahren gab es erste Beobachtungen, dass manche Arten in höher gelegene oder nördlichere, kühlere Gefilde abwandern. Aber irgendwann ist Schluss, etwa wenn der Berggipfel erreicht ist. Im Mittelmeerraum haben wir große, klimabedingte Verluste. Auch hierzulande werden wir einige Arten verlieren, andere werden aber aus Südeuropa nachrücken.


Warum sind Schmetterlinge weltweit überhaupt so wichtig für die Ökosysteme?
Settele: Zum einen haben sie eine einzigartige Ästhetik. Schmetterlinge werden allgemein als schön empfunden - auch Nachtfalter, so lange man sie nicht abfällig Motten nennt. Viele Nachtfalter haben eine wichtige Bestäubungsfunktion. Nur sie haben lange Rüssel, mit denen sie beispielsweise langstielige Blüten von Nachtkerzen, Natternköpfen und Petunien bestäuben können. Auch das tagsüber fliegende Taubenschwänzchen, das wie ein Kolibri vor den Blüten schwebt, hat so einen besonderen Rüssel.
Falter sind zudem ein guter Indikator für den Schwund anderer Insekten wie Hummeln und Bienen. Bei uns gibt es neben der Honigbiene noch 580 weitere Bienenarten. Ihr Vorkommen dezimiert sich parallel mit den Faltern.

Sie beraten als Sachverständiger für Umweltfragen die Bundesregierung. Ist das Thema ausreichend auf dem Schirm?
Settele: Das Thema Insekten ist spätestens seit der Krefelder Studie 2017 im Blick. Damals gab es erstmals eine eineinhalbstündige Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags. Schon vor ihrem Amt als Bundesumweltministerin hat sich beispielsweise Steffi Lemke/Grüne, die Agrarwissenschaftlerin ist, sehr für das Thema interessiert, ebenso ihre Amtsvorgängerin Svenja Schulze/SPD. Aber Maßnahmen können oft nur mit Kompromissen durchgesetzt werden. Viele Maßnahmen kommen natürlich zu langsam, aber immerhin sind inzwischen einige Politiker offener für das Thema.

Das ökologische Bewusstsein und das Wissen um die Notwendigkeit, effektiv und zeitnah gegenzusteuern, scheint dennoch ein zartes Pflänzchen...
Settele: Leider ja, diese Thematik rückt schnell wieder in den Hintergrund, wie man gerade an dem Krieg in der Ukraine sieht. Gerade erst war das Bewusstsein für mehr Brachflächen als wichtige Komponente im Sinne von funktionierenden Agrarökosystemen zur Artenrettung bei den Landwirten angekommen. Damit wollten wir bestimmte Insektenarten und damit die Systeme stabilisieren und entsprechend nachhaltig gestalten. Bei Kriegsausbruch fand binnen weniger Tage ein Cut statt, weil durch die Ernteausfälle in der Ukraine hierzulande mehr produziert werden soll, um eine Welthungerkrise abzufedern. Diese Kehrtwende finde ich sehr ernüchternd, da sie extrem kurzsichtig ist bezüglich der Entwicklung einer nachhaltigeren Landnutzung.


Hierzulande greifen Hobbygärtner gerne zu Gift, um den gefräßigen Raupen des Buchsbaumzünslers den Garaus zu machen. Brechen Sie gerne zum Abschluss noch eine Lanze für diesen Kleinschmetterling?
Settele: Er sieht mit seinem braunen Rand neben dem sonstigen Weiß eigentlich sehr hübsch aus. Seine Raupen möchte man natürlich nicht am heimischen Busch haben. Wir haben auch nur noch einen halbwegs intakten Buchsbaumbusch im Garten - und pflücken die Raupen runter. Inzwischen gibt es auch ein paar Vögel, die unsere Raupen fressen. Die potenzielle Futterquelle Buchsbaumzünsler muss von den heimischen Vögeln erst entdeckt werden. Irgendwann kommt ein Vogel und probiert die erste Raupe. Wenn man also Geduld hat, sieht man, dass die Natur sich im Lauf der Zeit anpasst.

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