Samstag, 14. Oktober 2023

Wissenschaftler halten verlängerte Glyphosat-Zulassung für "unangemessen"

Die vorgeschlagene weitere Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat in der EU ist von einer Reihe von Wissenschaftlern teils heftig kritisiert worden. Eine Zulassung für weitere zehn Jahre wäre "wissenschaftlich unbegründet und vollkommen unangemessen", erklärte Rita Triebskorn, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen. Der EU-Vorschlag sei inakzeptabel.

Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) sieht das Papier ebenfalls sehr kritisch: "Im Grunde genommen ist der Vorschlag eine Verhöhnung der ökologischen Wissenschaften." Der Vorschlag der EU-Kommission offenbare ein systematisches Leugnen des dramatischen Rückgangs der Biodiversität und der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Glyphosat dazu beiträgt: "Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit werden im Vorschlag nicht einmal erwähnt, obwohl evident ist, dass die Böden in ganz Europa mit Glyphosat kontaminiert sind."


Christoph Schäfers vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie, kommt zu einer anderen Einschätzung. "Ich halte den Vorschlag für angemessen", teilte er mit. Durch die Beschränkung auf zehn statt der üblichen 15 Jahre werde deutlich gemacht, dass es sich um eine besonders zu beobachtende Substanz handele. "Bei der Bewertung des Restrisikos sollte berücksichtigt werden, dass es bis heute keine Substanz gibt, die bei vergleichbarer Wirkung weniger unerwünschte Nebenwirkungen hat." Das wesentliche Problem von Glyphosat sei sein Einsatz in extrem großem Umfang. Wenn dieser im Zuge der neuen Regulation eingeschränkt werde, sei bereits viel erreicht - auch wenn eine Produktion gänzlich ohne Herbizide letztlich besser sei.

"Glyphosat ist zwar von den Risiken her gesehen ein Leichtgewicht, aber es ist ein großer Treiber bei den ausgebrachten Mengen", gab Horst-Henning Steinmann vom Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung der Universität Göttingen zu bedenken. Da die Nutzung von Glyphosat schon in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Einschränkungen belegt gewesen sei, sei denkbar, dass sich die Anwendungsmengen mit der vorgestellten Regelung nur wenig gegenüber der Vergangenheit verändern würden. "Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ob ein System einer Mengendeckelung machbar ist", erwog Steinmann. Damit könne erreicht werden, dass Glyphosat nur dort angewendet werde, "wo es den größten Nutzen hat und wo es keine praktikable Alternative gibt".


Was ist Glyphosat?


Glyphosat ist ein Totalherbizid, das heißt es wirkt auf alle grünen Pflanzen. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen, das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr, auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Ackerflächen können so vor oder kurz nach der Aussaat und nochmals nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden. Mit gentechnisch hergestellten Nutzpflanzen, deren Wachstum nicht durch Glyphosat beeinträchtig wird, lässt sich das Mittel zudem auch auf bereits bepflanzten Feldern verwenden.

Das Geschäft mit der Chemie


Der weltweite Verkauf glyphosathaltiger Produkte ist ein Milliardenmarkt, die ausgebrachten Mengen sind enorm. Der Wirkstoff war vom US-Konzern Monsanto entwickelt und 1974 erstmals zugelassen worden. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden glyphosathaltige Produkte preisgünstig auch von zahlreichen anderen Herstellern angeboten. 2018 kaufte der Agrarchemiekonzern Bayer den US-Konzern auf - inmitten von zahlreichen Prozessen um den Chemiecocktail. Der Monsanto-Mutterkonzern in Leverkusen begrüßte den Entwurf der EU-Kommission deshalb erwartungsgemäß.

Schädliche Studie nie eingereicht


Einer im Juni vorgestellten Analyse zufolge hatten Konzerne bei der Zulassung von Pestiziden europäischen Behörden Untersuchungsergebnisse vorenthalten. Dabei geht es um Studien dazu, ob Wirkstoffe das sich entwickelnde Nervensystem schädigen können (DNT; Developmental Neurotoxicity), wie die Forschenden der Universität Stockholm im Fachblatt "Environmental Health" schrieben. So sei eine Studie von 2001 zu neurotoxischen Effekten des Wirkstoffs Glyphosat-Trimesium nie bei den EU-Zulassungsbehörden eingereicht worden. Bei einem Teil der betroffenen Analysen hätten die enthaltenen Ergebnisse demnach Einfluss auf den Zulassungsprozess haben können. Warum die Untersuchungen nicht eingereicht wurden, sei unklar.

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