Samstag, 30. Oktober 2021

Wespen schätzen Gegner ab

Papierwespen beobachten Rivalinnen beim Kampf, um einzuordnen, inwieweit sie selbst mit ihnen konkurrieren können. Dies geht aus Versuchen hervor, bei denen Forscher Wespen in einer Art Arena gegeneinander kämpfen ließen, während andere zuschauten. Wenn eine Beobachterin anschließend gegen eine Verliererin aus der Arena antrat, zeigte sie sich besonders aggressiv. Offenbar rechnete sie sich durch dieses Verhalten mehr Chancen aus. Es handelt sich bei dieser Fähigkeit zur individuellen Einschätzung um einen weiteren Beleg für die überraschend hochentwickelten Hirnleistungen von Insekten, betonten die Forscher um die US-amerikanische Verhaltensbiologin Elizabeth Tibbetts.

© Elizabeth Tibbetts

Wissen über die Fähigkeiten anderer kann in Konfliktsituationen bekanntlich entscheidend sein. Menschen und viele andere Wirbeltiere erfassen deshalb meist aufmerksam die Merkmale und Leistungen möglicher Rivalen. Die Informationen dienen dann der Einschätzung, ob es sinnvoll ist, sich mit einem Gegner anzulegen. Zeichen von Schwäche begünstigen dabei oft eine Entscheidung für einen Angriff. Wirkt ein Gegenüber jedoch überlegen, wird ein Konflikt oft vermieden, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Klar scheint: Die Einschätzung anderer und die entsprechende Verhaltensanpassung basieren auf komplexen kognitiven Leistungen. - Und auch Insekten sind dazu in der Lage. 

Elizabeth Tibbetts von der University of Michigan in Ann Arbor belegte bereits in einer früheren Studie, dass Wespen ihre Artgenossen an Variationen ihrer Gesichtszeichnung erkennen können. Jetzt legte sie mit dem Beweis nach, dass Papierwespen (
Polistes fuscatus) auch die Fähigkeiten und Leistungen ihrer Gegnerinnen in Konflikten einschätzen können. Im Versuch nutzten sie die Tatsache, dass in einem Papierwespenvolk mehrere - untereinander konkurrierende - fortpflanzungsfähige Weibchen leben. Diese legen über Kämpfe die "lineare Dominanzhierachie" fest, also das, was man bei Vögeln die Hackordnung nennt. 


Die Wissenschaftler platzierten für die Testreihe jeweils zwei konkurrierende Wespen in eine Art Kampfarena, einen Behälter mit durchsichtigen Wänden. Zwei Zuschauer-Wespen konnten das Geschehen beobachten. Die aufgezeichneten Kämpfe endeten stets mit dem Dominanzverhalten, bei dem die Siegerin ihre Fühler auf die Unterlegene trommelt, während diese sich duckt und ihre Fühler senkt. Im Anschluss mussten dann die Zuschauerinnen entweder gegen eine der beobachteten Wespen oder - zur Kontrolle - gegen eine unbekannte Wespe antreten. 

In der zweiten Runde zeigten sich die Wespen gegenüber zuvor beobachteten Unterlegenen besonders angriffslustig. Siegerinnen wurden dagegen deutlich weniger attackiert, wie die Wissenschaftler analysierten. "Die Wespen beobachten andere Individuen beim Kampf, und sie nutzen die Informationen über den Ausgang dann, um ihr späteres Verhalten zu modulieren. Die Ergebnisse dokumentieren somit, dass soziale Beobachtungen zumindest auf Papierwespen einen prägenden Effekt haben", erklärte Tibbetts. Und: "
Man nimmt an, dass komplexe soziale Beziehungen die Evolution großer Gehirne und eine erhöhte soziale Intelligenz begünstigen – aber Papierwespengehirne sind relativ klein." Die Studie müsse daher Folgeuntersuchungen nach sich ziehen, denn sie lege die Vermutung nahe, dass die Fähigkeit zu komplexem Verhalten offenbar auch durch das soziale Umfeld entstehen und nicht unbedingt an die Größe des Gehirns gekoppelt sei.

Quelle: https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(20)30740-5?_returnURL=https%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS0960982220307405%3Fshowall%3Dtrue

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen