Sonntag, 5. Juli 2020

Hummeln sind heimliche Gärtner

Seit Urzeiten bieten Pflanzen Bienen mit Pollen und Nektar Nahrung. Im Gegenzug revanchieren sich die Insekten mit der Bestäubungsarbeit. Eine echte win-win-Situation, die wir am heutigen Tag der deutschen Imkerei feiern: Die einen werden satt, die anderen vermehren sich. Doch wie viele andere natürliche Prozesse, die sich im Lauf der Evolution aufeinander abgestimmt haben, gerät mit dem Klimawandel auch diese Symbiose aus dem Gleichgewicht. Die steigenden Temperaturen lassen nämlich viele bestäubende Insekten nach dem Winter früher wieder aktiv werden - zu früh, um sich an Blüten satt zu fressen.


Bild: Meatle/pixabay

So haben polnische Wissenschaftler etwa nachgewiesen, dass die vier häufigsten europäischen Hummelarten in den vergangenen 30 Jahren ihre Hauptflugperiode um teilweise mehr als drei Wochen vorverlegt haben. Zwar produzieren auch Pflanzen ihre Pollen heute früher als vor ein paar Jahrzehnten, allerdings nicht in dem Maß, wie die Insekten früher schwärmen. Das liegt daran, dass die Entwicklung der Pflanzenblüte stark von der Tageslichtdauer abhängt - und an dieser kann selbst der Klimawandel nicht rütteln.

Das Phänomen, das Forscher "trophische Asynchronität" oder einfach "mismatch" nennen, kann im schlimmsten Fall Nahrungsmangel oder gar Tod bedeuten - für manche Tiere, aber auch für ganze Populationen. Tiere versuchen deshalb mit viel Energie und teils verblüffenden Strategien die klimabedingten Ungleichgewichte wieder ins Lot zu bringen. So liefern sich viele Zugvögel ein Wettrennen auf Leben und Tod mit der Erderwärmung. Einige Arten verkürzen die Zeit im Winterquartier, andere reduzieren die Zahl der Zwischenrastplätze und fliegen längere Strecken ohne Pause. Das Ziel ist immer das gleiche: So früh wie möglich wieder zurückzukehren. Nur so können sie verhindern, dass der zeitlich immer stärker vorrückende Insektenboom schon vorbei ist, wenn sie die Tiere als Nahrung für ihre Jungen am dringendsten brauchen. Schaffen sie es nicht, verhungert der Nachwuchs.

Eine neue spektakuläre Anpassungsleistung bei Insekten haben jetzt Wissenschaftler aus Frankreich und der Schweiz entdeckt. In ihrer Studie wiesen Foteini Pashalidou vom französischen Umweltinstitut INRAE und der Zürcher Professor Mark Mescher nach, dass Hummeln die Umweltveränderungen nicht einfach nur erdulden, sondern aktiv etwas dagegen unternehmen: Wie ein Volk von Supergärtnern sorgen sie dafür, dass Pflanzen schneller erblühen und ihnen so Futter liefern.



Die Forscherinnen und Forscher hatten bei frei lebenden Hummeln eine merkwürdige Beobachtung gemacht: Die Tiere schnitten mit Hilfe ihrer Rüssel und Unterkiefer winzige Löcher in die Blätter noch nicht erblühter Pflanzen. Warum, konnten sich die Wissenschaftler nicht erklären. Hatte es etwas damit zu tun, dass die angeknabberten Pflanzen noch keine Blüten und damit Pollen produziert hatten?



Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, setzten sie ihre Beobachtungen an in Gefangenschaft gehaltenen Hummelvölkern und Wildvölkern auf dem Dach der Hochschule in Zürich fort. Hier konnten sie nachvollziehen, was mit den angenagten Pflanzen geschah. In der Tat hatte die Hummel-Knabberei einen drastischen Effekt. Die von den Hummeln beschädigten Pflanzen erblühten nämlich deutlich früher als nicht geschädigte Pflanzen derselben Art am gleichen Standort. Je nach Pflanzenart konnten die Hummeln die Blüte mit ihrer Manipulation zwischen zwei und vier Wochen vorverlegen.

Aber warum versetzt das Knabbern die Pflanzen in eine Art Blühturbo? Bekannt ist, dass Pflanzen unter Stress oder Verletzungen sogenannte Notblüten ausbilden, um vor ihrem drohenden Tod Samen zu bilden und damit die Fortpflanzung über das eigene Leben hinweg zu sichern. Allerdings kann das nicht die alleinige Erklärung sein. Denn auch die Forscher versuchten, durch Einschnitte mit Rasierklingen an den Pflanzen den Effekt nachzuahmen. Das klappte aber nicht im gleichen Ausmaß. Es scheint ein "hummelspezifischer Faktor im Spiel" zu sein, formulierten die Studienautoren vorsichtig.

Der an der Queen Mary University in London lehrende Ökologe Lars Chittka hielt es in einem in "Science" erschienenen Kommentar zur Studie für möglich, dass Hummeln bei den Bissen den Pflanzen Chemikalien injizierten, die das rasche Erblühen fördern. 



Ob die angeknabberten Pflanzen ihrerseits einen Vorteil von der vorzeitigen Blüte haben, ist ungewiss. Vielleicht ermöglicht es der Effekt ihnen, bestäubt zu werden, während ein Überangebot von Bestäubern herrscht. Vielleicht können sie sich aber der Manipulation der Hummeln einfach nur nicht erwehren. An sich ist im Nachteil, wer viel früher Blüten treibt als das Gros seiner Artgenossen. Denn es ist dann schwerer, befruchtungsfähige Partner zu finden.

Aus ökologischer Sicht könnte aus der anfänglichen Beobachtung von Hummeln, die an Blättern knabbern, eine weit reichende Erkenntnis erwachsen sein: Dass zumindest manche Tierarten aktiv etwas der klimawandelbedingten Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen entgegensetzen können. Das sei eine "ermutigende Interpretation der neuen Erkenntnisse", schrieb Chittka.

Quelle: https://www.researchgate.net/publication/341566043_Bumble_bees_damage_plant_leaves_and_accelerate_flower_production_when_pollen_is_scarce/link/5ec78e0a299bf1c09ad27a3f/download

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